JIM-Studie 2020: Was wir für die bayerische Gamesbranche spannend finden

Im Dezember veröffentlichte der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest die JIM-Studie (Jugend, Information, (Multi-)Media) 2020 zur Mediennutzung von Zwölf- bis 19-Jährigen in Deutschland. In der repräsentativen Studie werden seit 1998 jährlich über 1.000 Jugendliche befragt. Wir haben uns die Zahlen 2020 rund um Games für einen Blogbeitrag genauer angesehen.

Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien holt derzeit Informationen ein für einen Blogbeitrag zur JIM-Studie 2020 und hat uns zum Thema Games befragt. Das war für uns ein Anlass, uns genauer mit der Studie zu befassen und einige Punkte herauszufiltern, die für euch als Gamesfirmen interessant sein könnten. Die gesamte Studie könnt ihr hier herunterladen, die Studien seit 1998 findet ihr im Archiv des mpfs.

Zum Medienkonsum der Zwölf- bis 19-Jährigen in Deutschland

Die Onlinezeit von Jugendlichen ist im Vergleich zu 2019 (Link zur Studie 2019) um knapp 50 Minuten auf 258 Minuten pro Tag gestiegen. Davon profitieren vor allem Videostreamingdienste un Onlinespiele. Diese Überlegungen hat Games/Bavaria dazu:

Die Zielgruppe von Games/Bavaria sind nicht direkt die Zwölf- bis 19-Jährigen Gamerinnen und Gamer, sondern Gamesfirmen und Einrichtungen aus der bayerischen Gamesbranche. Als Strukturförderin konnten wir jedoch Angebote unterstützen, die sich an diese junge Zielgruppe richten – zum Beispiel den Gamespreis für Jugendliche und junge Erwachsene, der von der Computerspielakademie des JFF ausgerichtet wurde. Auf den Medientagen München waren wir online in dem Format Start Into Media zu Gast und konnten von Wegen in die Gamesbranche für den Nachwuchs erzählen. 2021 bauen wir unser Online-Angebot zudem weiter aus, denn mit ersten Artikeln zum Thema „Studieren in Bayreuth“ sehen wir, dass ein Informationsbedarf bei jungen Menschen besteht, die sich für Berufsfelder, Ausbildung und Studium im Bereich Games interessieren.

In einer 80-seitigen Studie zum Medienkonsum der jungen Zielgruppe finden sich viele spannende Anknüpfungspunkte. Wir haben drei herausgegriffen, die wir hervorheben wollen: Wie viele junge Menschen spielen, Gendergap und Fokus auf Bewegtbild online.

67 % spielen täglich oder mehrmals pro Woche

Dass 67 % der Zielgruppe (79 % Jungen, 56 % Mädchen, S. 15 und S. 54) digitale Spiele täglich oder mehrmals pro Woche nutzen, ist für uns natürlich spannend zu sehen. Digitale Spiele haben 2020 zum ersten Mal das Radio überholt und wir gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren Video-Streaming-Dienste und auch die Spiele das Fernsehen überholen werden.

Gerade mit den Smartphones als von fast allen genutztes Gerät (S. 6) ist das Gamen mobil jederzeit möglich und viele Games sind darauf ausgelegt, dass Spielende unterwegs kurz ein paar Minuten aktiv sind und der Spielfortschritt dann in der Zwischenzeit weiterläuft (sog. Idle-Games). Daher überrascht uns nicht, dass die Hälfte der mit 41 % bezifferten täglichen Nutzung von digitalen Spielen auf mobile Games entfällt (S. 14 und S. 55 „Smartphonespiele“). Dass nur acht Prozent der Jugendlichen nie digital spielen (S. 54), zeigt, dass Gaming ein normalisiertes Hobby und fester Bestandteil der Popkultur ist. Wobei mobile Games, Konsolen-Games und PC-Games jeweils andere Schwerpunkte setzen können – Konsolenspiele können leichter mit mehreren Personen in der Familie gespielt werden, da neben einer Konsole nur mehrere Controller benötigt werden, wohingegen an einem PC meist nur eine Person gleichzeitig spielen kann.

Gendergap und Gender-Bias?

Der Gendergap beim Spielen und beim Lesen ist nach wie vor auffällig, wird aber im Vergleich zu den Vorjahren kleiner (S. 15) – der Anteil der Mädchen hat sogar einen signifikanten Sprung nach oben erlebt mit mehr als zehn Prozentpunkten auf 56 % (2019: 44 %).

Neben mobilen Games erscheinen uns hier Formate wie Visual Novels daran anknüpfend als vielversprechendes Format, um Mädchen an digitale Spiele heranzuführen, die ohnehin gerne lesen. Wobei jedes Games-Genre für alle Geschlechter spannende Produkte bietet – so ähnlich wie die unterschiedlichen Genres bei Büchern.

Die Unterschiede bezogen auf das am häufigsten eingesetzte Gerät zur Internetnutzung 2020 finden wir ebenfalls interessant (S. 30). Das Verhältnis von Preis und Leistungsfähigkeit ist bei einem Desktop-PC günstiger als bei einem Laptop, so dass ein PC für das Spielen aufwändigerer PC-Games weniger kostspielig ist als ein Laptop. Gleichzeitig lassen sich alle modernen PC-Games auch auf Laptops spielen. Wir glauben daher nicht, dass Jungen eine größere Affinität zu PC-Spielen haben und deshalb mit 15 % 3-mal so häufig einen PC als am häufigsten genutztes Gerät angegeben haben wie Mädchen mit 5 %. Wir würden eher eine Affinität zum PC als Hardware annehmen, der dann wiederum leichter bei geringeren Kosten den Zugang zu aufwändigen Games ermöglicht.

Bedarf nach mehr Details bei Video-Streaming und Online-Videos

Bei der Erhebung von Daten zu Video-Streaming-Diensten und zu Online-Videos (z.B. S. 14, S. 15) hätten wir eine weitere Ausdifferenzierung zwischen aufgezeichneten Videos und Live-Streams spannend gefunden. Wir haben den Eindruck, dass Streamerinnen und Streamer als Influencer auf diese junge Zielgruppe in der JIM 2020 noch nicht erfasst wurden. Denn es macht einen Unterschied, ob man ein aufgezeichnetes Video von einem Let’s Play ansieht oder einem Streamer bzw. einer Streamerin live beim Gamen zusehen und im Chat interagieren kann. Wir finden diese hybriden Mediennutzungsformen wie Livestreams – mit Unterhaltung und Kommunikation – gerade in Bezug auf Games sehr spannend und würden uns daher eine Ausdifferenzierung zwischen Live und Aufzeichnung wünschen.

Denn auch viele Gamesfirmen aus Bayern arbeiten mit eigenen Streams oder unterstützen Streamer und Streamerinnen bzw. Producer von Let’s-Play-Videos, mit denen die junge Zielgruppe dank der deutlich sichtbaren Affinität zu YouTube und anderen Videoplattformen direkt erreicht werden kann. Denn nach Platz vier in den Jahren 2018 (Link zur Studie 2018) und 2019 landen Let’s-Play-Videos 2020 auf Platz drei der beliebtesten YouTube-Formate und werden von insgesamt 59 % der Jugendlichen täglich oder mehrmals pro Woche konsumiert (S. 47). Für die Gamesbranche steckt darin ein großes Potenzial, um mit von Nutzerinnen und Nutzern erstellten und kuratierten Inhalten eine höhere Reichweite für die eigenen Produkte zu erzeugen. Fragen des Jugendschutzes dürfen dabei natürlich nicht außer Acht gelassen werden, denn Let’s Plays unterliegen keiner USK-Freigabe.

Dass die Nutzung von Apps auf dem Smartphone auch 2020 noch durch das Datenvolumen des Handytarifs bestimmt wird (S. 37-38), stimmt uns nachdenklich. Denn viele spannende Formate für Jugendliche arbeiten mit Games oder Videos. Da die mobile Hardware die Anforderungen für diese Formate erfüllt, betrachten wir es als Verlust, dass der Handyvertrag als limitierender Faktor den Zugang dazu beschränkt.

Der teilweise signifikante Nutzungszuwachs bei Klassikern wie Instagram und Twitter, aber auch bei neueren Plattformen wie Snapchat, TikTok und Twitch (im Vergleich zu 2019) bietet für die Gamesbranche neue Zugänge zur Zielgruppe. Als innovatives Beispiel ist hier Rudolf Inderst zu nennen, der auf seinem Konto GameStudies das Forschungsfeld digitale Spieleforschung erläutert.

Jugendliche spielen pro Tag 40 Minuten länger – mit und auch nach Corona?

Die tägliche Onlinenutzung ist 2020 um rund 26 % von 205 auf 258 Minuten gestiegen, bei der inhaltlichen Verteilung haben sich Games allerdings nur um zwei Prozentpunkte auf 28 % gesteigert – ein gleichmäßiger Anstieg wie in den Vorjahren. Wir führen das auf die Medienkompetenz der Zielgruppe und des familiären Umfelds zurück: mit Games wurde auch 2020 verantwortungsbewusst umgegangen, der Konsum nahm nicht aufgrund von Corona überhand. Hinzu kommt, dass Eltern jetziger Jugendlicher teilweise auch Gamer waren oder sind und somit den Umgang mit Games an ihre Kinder vermitteln können.

Wir gehen davon aus, dass die werktägliche Spieledauer auch deshalb angestiegen ist, weil fünf Prozent mehr Jugendliche Games spielen als 2019 und weil andere Freizeitbedürfnisse ersatzmäßig durch Games als hybrides Medium abgedeckt werden können (S. 35). Dazu zählen die Kommunikation mit anderen (Spielenden), das Zeitverbringen mit Freundinnen und Freunden, Nutzung von Unterhaltungsangeboten in Form von Let’s Plays, aber auch die Befriedigung des Bedürfnisses nach neuen Erlebnissen in einem aufgrund der Corona-Pandemie reizarmen Alltag. Jugendliche, die durch Corona zu den digitalen Spielen gefunden haben, werden vermutlich auch dann bei diesem Hobby bleiben, wenn ein regulärer Alltag wieder möglich ist. Die werktägliche Spieledauer könnte aber wieder leicht rückläufig sein, wenn sich der Fokus der Unternehmungen wieder auf Begegnungen in der echten Welt verlegt.

Dass Spiele auch andere Bedürfnisse adressieren, zeigt auch die Wahl des Lieblingsspiels: die meisten Top-Spiele sind Mehrspielerspiele mit einem sozialen und kommunikativen Aspekt sowie Communitys, die sich über mehrere Kanäle erstrecken (z.B. YouTube / Twitch, Discord).

Corona in Games und Lernen im Corona-Alltag mit Games

Als Reaktion auf Corona gibt es neue Games und Apps, die sich direkt oder indirekt mit der Pandemie befassen. Zwei bayerische Firmen, audEERING und GamifyNow!, haben Apps entwickelt, die explizit beim Kampf gegen Corona unterstützen. audEERING will anhand von KI mittels App am Husten erkennen können, ob eine Corona-Infektion vorliegt; und GamifyNow! erinnert mit einer App daran, mit welchen einfachen Maßnahmen Bürgerinnen und Bürger ihr Infektionsrisiko verringern können. Mit dem Lockdown befasst sich das Virtual Cottage von DU&I, das als kleines Häuschen Raum zur Selbstorganisation und einen Rückzugsort ins Innere bietet.

In der bayerischen Gamesbranche gibt es einige Unternehmen, die Serious Games produzieren (z.B. Gentle Troll Entertainment) und Unternehmen, die mit Apps das Lernen unterstützen (z.B. Neolexon) – wir haben sie hier aufgelistet. Doch auch gerade was die Bereitstellung von Plattformen für gemeinsames digitales Lernen angeht, könnten mehrere Gamesfirmen aus Bayern wichtige Erkenntnisse, die notwendige Technologie und das Know-how in Bezug auf die Nutzerinnen- und Nutzerführung bereitstellen, um Lernerfahrungen technisch fehlerfrei und inhaltlich spannend zu gestalten. Leider wurde unseres Wissens nach die Gamesbranche für Homeschooling und Online-Lernen bislang noch nicht ins Boot geholt – vielleicht aber dieses Jahr?

Ist die Videospielbranche ein „Corona-Gewinner“?

Man kann nicht pauschal sagen, dass die Videospielbranche zu den Corona-Gewinnern gehört. Vor allem die Firmen profitieren, die bereits Produkte auf den Markt gebracht haben; bei der Neu- oder Weiterentwicklung stocken die Prozesse teilweise, ebenso beim Recruiting und ganz besonders bei der Suche nach einem Publisher – daher müssen viele Spielefirmen kreativ mit der aktuellen Situation umgehen.

Die Zielgruppe der Zwölf- bis 19-Jährigen ist für viele bayerische Unternehmen interessant und relevant und ein solcher kreativer Ansatz von Gamesfirmen ist es, die Zielgruppe mit Communitys an sich zu binden. Firmen wie Boxelware mit Avorion oder Mimimi Games mit Desperados III ermöglichen es den Spielenden beispielsweise, selbst erstellte Inhalte (Mods, UGC) für die Community zu bereitzustellen. Unternehmen wie Pixel Maniacs oder Emergo Entertainment hosten auf ihren Twitch-Kanälen Streams, die Einblicke in das Game Development geben. Spieleentwickler teilen auf Twitter ebenfalls Eindrücke aus dem Gamedev-Alltag (unsere Liste der bayerischen Gamesfirmen auf Twitter findet ihr hier) und stellen eigene Discord-Server bereit, um die Spielenden auf den Kanälen zu erreichen, die sie auch regelmäßig nutzen. Dass Let’s Plays sich auf YouTube so großer Beliebtheit erfreuen, ist für die bayerische Gamesbranche ebenfalls ein Gewinn und zeigt, dass die Beschäftigung mit Games über das reine Zocken hinausgeht und zum festen Bestandteil des Medienalltags geworden ist.

Noch mehr zum Thema Mediennutzung und Medienpädagogik

Das Netzwerk Interaktiv hat 2020 eine Festpublikation anlässlich von 25 Jahren Interaktiv veröffentlicht. In dem 340 Seiten starken Band „Medien bilden Werte. Digitalisierung als pädagogische Aufgabe“ geht es um den Stand der Medienpädagogik mit ihren aktuellen Herausforderungen und die Autorinnen und Autoren wagen auch verschiedene Blicke nach vorn. Dabei werden interdisziplinäre Perspektiven eröffnet, welche die Kommune mit ihrer Vielfalt an Bildungslandschaften ebenso wie die digitalen Kommunikationsräume als Orte von Medienbildung miteinander in Beziehung setzen. Das Buch könnt ihr bestellen oder auf der Website als PDF kostenlos herunterladen.

Das Studio im Netz veranstaltete vom 22. Oktober bis zum 12. November 2020 eine Webinar-Reihe zu einem #GamesVerstehen Themenschwerpunkt statt. Es gibt um digitale Spielekultur, Neues von der Spielefront, Konsolenkrieg im Wohnzimmer und Videospiele aus Sicht der Medienpädagogik. Die Videoaufzeichnungen von den Webinaren findet ihr auf der Website von Studio im Netz.